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Warum sich Männer vor rauflustigen Frauen fürchten Version 2016 Frank Taherkhani Jungs raufen, Männer nicht. Denn sie sind schließlich erwachsen. Dabei gelten Jungs, die sich raufen, noch immer als „richtige Jungs“. Dem Raufen wird heute auch pädagogischer Wert zugesprochen: Es hat in mehreren Bundesländern den Weg in die Lehrpläne der Schulen gefunden. Während „Kampfspiele mit Körperkontakt“ für die Jugendarbeit wiederentdeckt wurden – das Ringen wurde schon im antiken Griechenland als wichtiger Teil der Erziehung angesehen –, besteht für Erwachsene jedoch geradezu ein Tabu. Raufen aus purem Spaß, vergnügliches Balgen und freundschaftliches Kräftemessen gehören für uns ganz selbstverständlich in das Kindes- und Jugendalter, wo es einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung leisten kann. Beim Erwachsenen jedoch sehen wir keine pädagogische Rechtfertigung mehr. Raufende Erwachsene irritieren, sie erscheinen mindestens unreif und unerwachsen. Häufig verbinden wir Raufen mit herumtollenden jungen Hunden. Wer Hunde kennt, weiß jedoch, dass sie in jedem Alter Spaß daran haben. Zwar betreiben Erwachsene (leider immer noch viel weniger Frauen als Männer!) Kampfsport und Selbstverteidigung, beide haben allerdings eine andere Zielsetzung und entsprechend einen anderen Charakter als das hier gemeinte Raufen: Beim Kampfsport steht der sportliche, also der fairen Regeln gehorchende Wettkampf im Zentrum (hier wären neben Boxen und Ringen verschiedene asiatische Disziplinen zu nennen wie Karate, Taekwondo und Judo). In Selbstverteidigungsstilen (z.B. WingTsun und Jiu-Jitsu) lernt der Trainierende, sich gegen Angreifer zu verteidigen, die seine körperliche Unversehrtheit oder gar sein Leben bedrohen. Das freundschaftliche Raufen hat einfach nur den Spaß zum Ziel – es kennt kein Techniktraining, keinen Wettkampf und ist nicht auf Effektivität ausgelegt. Es gibt nur wenige Angebote zum spielerischen Raufen speziell für Erwachsene (auch Playfighting genannt), zumeist sind es regelmäßige Rauftreffs und Workshops. Vereinzelt arbeiten auch Coaches und Therapeuten mit ihm als Tool. Raufen ist keine standardisierte Disziplin, tatsächlich gibt es nur bedingt ein einheitliches Verständnis davon: Auch wenn unter den Anbietern (ein Überblick findet sich hier und hier) ein gewisser Austausch besteht, kann das, was man unter der Bezeichnung vorfindet, sehr unterschiedlich sein – schon aufgrund der verschiedenen Hintergründe und Zielsetzungen der Anbieter. Nicht selten wird das Raufen selbst dort als etwas eigentlich Jugendliches dargestellt, wo sich das Angebot explizit an Erwachsene wendet. Es wird gefordert, wir sollten wieder raufen lernen wie die Kinder. Kinder, die im Spiel balgen, sind freilich ein griffiges Bild des spielerischen Raufens und es mag an Erfahrungen aus unserer Jugend erinnern. Doch sollten wir statt zu lernen, wieder ein Kind zu sein, das Raufen nicht besser dazu benutzen, uns als Erwachsene – mit einer Erwachsenen-Identität und einem erwachsenen Interesse an Körperlichkeit – weiter zu entwickeln? Ganz so einfach scheint das ja alles nicht zu sein: Als jemand, der das spielerische Kämpfen zwischen Partnern als in vielerlei Hinsicht gewinnbringende körperliche “Auseinandersetzung” propagiert, werde ich immer wieder mit der Klage vor allem von Frauen konfrontiert, dass sie sehr gerne raufen würden – ihre eigenen Kräfte spüren, an die Grenzen gehen, sich auspowern –, sie es mit ihrem Partner aber nicht können und er oft regelrecht Angst davor hat. So haben sich die rauflustigen Damen meist irgendwann damit abgefunden, dass es offenbar eine von den Phantasien ist, die für immer Phantasie bleiben müssen. Warum tut sich gerade der Mann mit dem Raufen so schwer? Und warum besonders gegen Frauen? Männlichkeit und Kontrolle Nicht nur vor seiner körperlichen Kraft muss der Mann die Frau schützen, er muss sie auch vor seiner Aggressivität schützen. Der Mann ist eine potenzielle Gefahr für die Frau, geradezu eine tickende Bombe, so sind er und die Gesellschaft, die ihm dies beibrachte, überzeugt. Nicht auszudenken, wenn er beim spielerischen Raufen plötzlich die Kontrolle über sich und seine Aggression verlieren würde! Die Angst vor „plötzlichen Ausrastern”, auch seitens der Frau, ist einer der häufigsten Gründe, warum Paare sich nicht ans Raufen trauen. Das Tier im Manne, das dunkle, drängende Es bedarf der Kontrolle. Kontrolle und Beherrschtheit sind das, was den Mann vom Kind unterscheidet. Wenn er also fürchtet, beim spielerischen Kämpfen die Kontrolle über sich zu verlieren, ist das auch wieder die Furcht, seine Männlichkeit zu verlieren. Aggressionen als Antrieb? Beim Thema Raufen wird sowohl ein Grundproblem heutiger Lust als auch des heutigen Männerbildes greifbar. Liebe, sei sie körperlich oder geistig, ist für uns der genaue Widerpart zu Aggression, Destruktivität und Feindseligkeit. Kämpfen in jeder Form erscheint uns dagegen als Ausdruck gerade dieser „dunkeln Kräfte”. Deshalb sind wir überzeugt, alles, was Liebende miteinander tun, habe von Kampf so weit wie möglich frei zu sein. Mit der Zeit wird die Lust so immer spannungsfreier — und kraftloser. Bekanntlich ist der Softie eine Sackgasse, er ist einfach nicht männlich und entsprechend auch nicht sexy. Der übliche geistige Kurzschluss ist nun die Hinwendung zum Macho, der bei allem Problematischen, das ihm eigen ist, aber scheinbar doch „das gewisse Etwas” hat. (Bei diesen Überlegungen über Softies und Machos geht es vor allem um unsere Bilder der Männlichkeit, für die sie stehen. Aber es sind nicht bloße Bilder: Realen Männern dienen sie als Orientierung – auch dann und gerade dann, wenn sie sich von ihnen abgrenzen. Und Frauen packen Männer in die entsprechenden Schubladen.) Selbstverständlich stellt auch er keine Lösung dar. Er ist genauso eine Witzfigur wie sein Gegenbild und deshalb für viele Frauen ebenso unsexy – trotz aller vordergründigen Insignien des Männlichen. Das hilflose Hin- und Herpendeln der Männermode zwischen Softie und Macho beruht auf dem Irrtum, den guten Liebhaber und „wahren Mann” in einem mehr oder weniger an Aggressivität zu finden. Vergegenwärtigen wir uns, was Aggressivität bedeutet, wir verwenden Worte oft viel zu unbedacht: Aggression zielt definitionsgemäß darauf ab, das Gegenüber zu schädigen, zu verletzen oder im Extremfall sogar auszulöschen. Wollen wir also wirklich sagen, dass wir Partner generell interessanter finden, die uns Schaden zufügen, eventuell sogar töten möchten – nicht im Spiel, sondern tatsächlich! Freilich ist das absurd, das ist es nicht, was wir meinen. Was meinen wir aber? Was ist das, was wir hier oft etwas ungeschickt Aggression nennen? Es gibt ein einfaches Merkmal, einen unmittelbaren Ausdruck von Aggression von partnerschaftlichen Spielformen abzugrenzen. Die partnerschaftliche Natur des Raufens tritt in Situationen deutlich zutage, wenn einer der Beteiligten den Eindruck hat, für den Partner könnte etwas gerade nicht in Ordnung sein: Sofort und fast automatisch wird die Spielebene verlassen und man klärt die Situation – um nach positiver Klärung in der Regel wieder ins Spiel zurückzukehren. Die Raufenden können auch von sich aus jederzeit willkürlich und ohne Angabe von Gründen, meist durch ein einfaches Stoppsignal, das Spiel verlassen. Bei tatsächlich feindseligen Konfrontationen gibt es solche Wechsel der Ebenen nicht. Aber vielleicht handelt es sich beim Raufen ja um eine wesentlich subtilere Art der Aggressivität oder eine subtilere Form, in der Aggressivität ihren Weg nach außen bahnt? Raufen erscheint uns leicht als ein entschärftes oder gezähmtes gegeneinander Kämpfen. Es fällt uns so schwer, den Unterschied zwischen gegeneinander kämpfen und miteinander raufen zu fassen. Aber Raufen ist kein in Watte gepacktes Gegeneinander, es ist stets ein Miteinander, das nur dem schlechten Beobachter wie ein Gegeneinander erscheint. Auch ein „zivilisiertes Gegeneinander” wäre in seinem Kern, d. h. in seiner letztlichen Absicht, ein Gegeneinander, würde sich also gegen die Interessen oder gar das Wohl des anderen richten. Zwei, die zum Spaß balgen, tragen aber nicht ihre Feindseligkeiten aus, wenn auch auf eine domestizierte Weise. Das Ziel des scheinbaren Gegeneinanders ist stets ein gemeinsames Vergnügen, ein Miteinander eben. Der Spaß am Raufen entspringt also nicht daraus, seine negativen oder gar destruktiven Regungen gegen den anderen wenigstens auf kontrollierte Weise ausleben und herauslassen zu können. Es ist eine armselige Psychologie, die Vergnügen dieser Art nur als Ausdruck von feindschaftlichen Antrieben deuten kann, und das selbst dann, wenn die Tätigkeit offenbar konstruktiver Natur ist. Spiele jeder Form und körperliche Spiele im Besonderen sind an sich beglückende Erfahrungen – für ihre Erklärung und ihr Verständnis müssen wir keine „dunkeln Antriebe” bemühen.* Lern- und Trainingseffekte machen es biologisch sinnvoll, dass unsere Körper den Drang haben, sich auszuprobieren und zu erleben. Deshalb haben wir Freude an Bewegung und besonders – dies dient nicht zuletzt dem sozialen Zusammenhalt – an spielerischer Bewegung mit anderen Menschen: die Freude eben, die wir bei raufenden Paaren, übermütig spielenden Kindern und herumtollenden Hunden beobachten können. Kaum eine andere Betätigung ermöglicht es uns dabei so unmittelbar, unsere Körper und unsere Kraft zu spüren. Das ist der erste wichtige Grund, warum Raufen so Spaß macht. Die Verwechslung von „miteinander“ und „gegeneinander“ im Alltag Raufen und andere Abenteuer Wie beim körperlichen ist auch beim verbalen Spaß-Kämpfen das vordergründige Gegeneinander keineswegs Ausdruck oder Abreaktion versteckter Spannungen, es ist vor allem ein selbstgenügsames Spiel. Nicht verdeckte Konflikte, sondern die Sicherheit, dass in der Beziehung mit dem Partner fundamental alles in Ordnung ist, dass keine größere Gefahr besteht, sich misszuverstehen oder Missvergnügen zu bereiten, ist die Basis. Ein Paar, das „Stress hat”, wird sich gerade nicht in spaßigem Geplänkel ergehen. Zwar können dem Partner hier auch Dinge gesagt werden, die man ihm ungern direkt sagen möchte. Das ist aber eine Sonderfunktion, wenn auch keine unwichtige. In erster Linie geht es bei den Pseudogemeinheiten und Verbalbalgereien eben darum, gemeinsam Spaß zu haben. Geist, Witz und Schlagfertigkeit, das Spielen mit Sprache, ausgelassen-freches Herumalbern sind Dinge, die Menschen an sich Freude bereiten, das Vergnügen an ihnen braucht keinen weiteren, „eigentlich angestrebten” Zweck. Wer sich über die vermeintliche Dämlichkeit des anderen lustig macht – ein Standardthema –, könnte das nicht, wenn der Partner davon ausgehen würde, die Bemerkung hätte die Funktion, ihm schonend mitzuteilen, dass man ihn für unterbelichtet hält. Solche Frotzeleien funktionieren nur, weil das Gegenüber weiß, dass sie Spiel sind. Auch die manchmal absurden Inhalte übermütiger Geplänkel weisen darauf hin, dass es meist mehr um die Freude am „Streiten” geht als – ähnlich gutem Smalltalk – um irgendeinen vordergründigen Inhalt oder eine „tatsächliche Botschaft”. Verbale Raufereien sind gemeinsame Erlebnisse, sie schaffen Vertrautheit und Verbundenheit, oft sind sie ein wichtiger Teil der Beziehungsgestaltung. Gerade die ihnen stets innewohnende heikle Natur – man könnte den geschätzten Menschen tatsächlich verletzen oder es könnte ein Missverständnis entstehen – ist ein wesentlicher Faktor: Wer dieses Spiel mitspielen kann, zeigt und übt neben intellektuellen Fähigkeiten auch psychisches und soziales Fingerspitzengefühl sowie Humor und Selbstironie. Eine gesunde Portion Selbstironie bedeutet wiederum nichts anderes als Stärke und Selbstsicherheit. Und beides sind Eigenschaften, die in einem verbalen Pseudokampf sowieso unerlässlich sind: Man muss, wenn auch nur im Spiel, „einstecken” und „verlieren” können. Verbale Balgereien wie auch das körperliche Spaß-Raufen funktionieren nicht, wenn einer immer letztlich „gewinnen” muss. Dies ist der für viele Männer schwierige Punkt. Die Qualitäten, die er beweist und das Vergnügen, das die Frau mit ihm hat, machen einen Mann, der sich auf verbale Balgereien versteht, besonders attraktiv. Gegen ihn verlieren der galante Kavalier, der sich hier im Vergleich als langweilig erweist, sowie der Friede-Freude-Eierkuchen-Softie und der zur Selbstironie unfähige Macho. Beziehungen, in denen verbal gekabbelt wird, dürften nicht nur die gesünderen sein. Auch um die Sexualität dürfte es weit besser bestellt sein, wo spielerische Elemente nicht bloß in einer spannungsfreien, kindlich-harmlosen Form erlaubt sind – aus andauernder Angst vor vermeintlicher Aggression und einem nur oberflächlichen Verständnis davon, wie man Wertschätzung zeigt. Spannung und die Abwesenheit von Harmlosigkeit sind das, was Erotik wesentlich trägt und am Leben erhält. Dem wird zwar in aller Regel bereitwillig zugestimmt, es fällt vielen aber unheimlich schwer, diese abstrakte Einsicht auch auf konkreter Ebene umzusetzen, denn die üblichen Vorurteile beginnen gleich wieder zu greifen. Spielerische körperliche Auseinandersetzungen sind ein Medium, hier einen Zugang zu schaffen. Paare, für die Spaß-Raufen ein Teil ihrer Beziehung ist, dürften wohl einen ausgelasseneren körperlichen Umgang miteinander pflegen, der weit weniger von falschen Befürchtungen geprägt ist. Die wichtige befreiende Einsicht dabei ist, dass Raufen eben nicht fast zwangsläufig in Mord und Totschlag endet, sondern vor allem Spaß macht. „Pseudoaggressive“ Spiele wie das Raufen schaffen für die Beteiligten einen geschützten Raum, in dem sie sich auf „heiße“, bedrohlich wirkende, „nicht harmlose“ Situationen und Empfindungen einlassen und mit ihnen experimentieren können, die sie normalerweise (und meist aus gutem Grund) meiden würden. Trotz der klaren Spielsituation machen die Partner in gewisser Hinsicht echte Erfahrungen, die intensiv, aufregend und beeindruckend sein können – denen aber das tatsächlich Bedrohliche abgeht. Dies macht einen ganz besonderen Reiz des Raufens und ähnlicher Spiele aus, man könnte sagen: den Reiz einer Entdeckungsreise oder eines Abenteuers. Die Stärke, die wir suchen Wir sind somit beim dritten und letzten Punkt angelangt, der das Raufen so faszinierend macht: das Erleben von Stärke – sowohl der eigenen als auch der des Gegenübers. Was ist also diese so häufig missverstandene Stärke, die das gewisse Etwas des „richtigen Mannes” ausmacht, die der Softie nicht überzeugend verkörpert und dessen Missverständnis der Macho ist? Was ist diese Stärke, die Spannung und „Nichtharmlosigkeit” in die Lust bringt? Stärke ist eine Eigenschaft, mit der wir Herausforderungen meistern, sowohl die grundsätzlichen Herausforderungen des Lebens als auch außerordentliche und extreme. Dabei hat sie aber nicht nur einen passiven Aspekt – im Sinne von ertragen oder widerstehen können –, Stärke ist auch eine Qualität, mit der wir anderen Menschen und der Welt aktiv gegenübertreten. Dieser aktive Aspekt, der häufig übersehen wird, unterscheidet Stärke im hier gemeinten Sinne deutlich vom Konzept der Resilienz (etwa: Widerstandsfähigkeit), den die Psychologie kennt. Um die eigene Stärke ausprobieren, erleben und in gewisser Hinsicht sogar trainieren zu können, ist Raufen wieder ein hervorragendes Terrain. Der Raufpartner stellt eine ständige Herausforderung dar, die zwar klar spielerisch ist und keine wirkliche Gefahr bedeutet, aber dennoch Intensität hat. Sich beim Raufen als stark zu erfahren, gibt selbst wieder Stärke. Erlebte eigene Wirksamkeit, Energie und Widerstandskraft werden Teil des positiven Selbstbildes. Ein gerade auch von Frauen häufig angeführtes Motiv für das Raufen ist das Erfahren eigener Grenzen. Wer seine Grenzen kennenlernt, lernt seine Stärke kennen. Wir brauchen und wollen auch ein starkes Gegenüber, denn ein starkes Gegenüber ist überhaupt erst ein richtiges Gegenüber. Nur mit ihm können wir auf den verschiedensten Gebieten (Raufen soll ein allgemeines Modell des miteinander Umgehens sein) fruchtbar und gewinnbringend ringen: um Einsichten, um Antworten, um Lösungen oder einfach nur um des Ringens willen. Dabei erleben wir die Stärke des Partners keineswegs als etwas Bedrohliches, sie schafft im Gegenteil erst eine fürs Raufen notwendige Sicherheit. Wer mit einem starken Partner rauft, muss vor ihm keine Angst haben. Stärke ist für uns keineswegs etwas Egoistisches, stark wollen wir auch für andere sein. Von einem wirklich starken Gegenüber erwarten wir, dass er sich gerade nicht immer und überall meint durchsetzen zu müssen. Nur in sehr extremen Fällen bedeutet Stärke, bis aufs Letzte zu kämpfen. Die allermeisten Herausforderungen des Lebens, vor allem im zwischenmenschlichen Kontakt, verlangen andere Ausprägungen von Stärke. Selbstverständlich geht es dann auch wieder nicht darum, ständig nur willenlos nachzugeben, etwa aus falsch verstandener Rücksichtnahme: Mit so jemandem zu raufen ist nicht fruchtbar und macht auch keinen Spaß. Selbst jedoch wenn man dagegenhalten kann, die erforderliche Festigkeit und den für das gemeinsame Ringen nötigen Widerstand bieten kann, fehlt noch etwas Entscheidendes. Ein Partner würde, wenn nicht mehr als das käme, sich bald beklagen: nämlich über Passivität, die er als Desinteresse begreifen wird. Dieses Urteil würde sich nicht grundsätzlich ändern, würde das Gegenüber nur auf ihn und seine Aktionen eingehen und reagieren (freilich ist das zu können eine in Auseinandersetzungen wertvolle, ja unbedingt notwendige Fähigkeit). Lohnende Raufpartner müssen auch etwas Eigenes einbringen: eine eigene Dynamik, eigenes Interesse und eigenen Gehalt. Hier merken wir: Stärke beinhaltet eben nicht nur passive und adaptive Qualitäten, sie ist ganz wesentlich auch aktives Zugehen, Gegenübertreten und willentliches Machen. Was wir an einem richtigen Gegenüber so schätzen, bleibt nur allzu oft etwas recht Abstraktes. Beim Spaß-Raufen, wo der andere sich körperlich mit uns auseinandersetzt, kann es unmittelbar erfahren werden. Tipps für die Raufpraxis Vor Beginn sollte man sich auf ein Stoppsignal einigen, das die Raufaktion sofort beendet. Es bietet sich das Wörtchen “Stopp!” an (“Nein, lass dass, du Schuft!” eignet sich weniger, weil man so etwas auch im Spaß rufen kann) sowie das Abklopfen aus dem Kampfsport: ein doppeltes Klopfen mit der Hand oder demjenigen Körperteil, der gerade dazu in der Lage ist. Die Gründe für ein Stoppen müssen nicht dramatisch sein, meist kann nach kurzer Pause weitergerungen werden. Auch derjenige, der gerade die Oberhand hat, kann das Stopp-Signal geben, wenn er etwa findet, dass der Partner sich zu verbissen wehrt. Selbstverständlich ist alles verboten, was der andere nicht mag, ihn in Gefahr bringen oder verletzen könnte. Teppichböden sind als Unterlage keineswegs ideal, vor allem an Knien und Ellbogen entsteht durch Reibung leicht unangenehmer Teppichbodenbrand. Wenn man auf einem Teppichboden raufen möchte, sollten diese Körperpartien mit Kleidung bedeckt sein. Von allen Versuchen, einen stehenden Partner stolpern zu lassen oder umzuwerfen, ist dringend abzuraten. Was, wenn man Erfolg hat? Wir sind nicht beim Kampfsport, wo der andere trainiert hat, wie man richtig fällt. Und man befindet sich auch nicht in einer mit Matten ausgelegten Turnhalle, sondern in aller Regel in einer Wohnung, in der man sich an Möbeln stoßen kann. Keine gute Idee ist es auch, den Partner durch die Gegend zu werfen oder sich auf ihn zu schmeißen. Grundsätzlich sollte man sich auf kontrollierte und kontrollierbare Aktionen beschränken, auch ruckartiges Ziehen oder Stoßen sind eher zu vermeiden. Das Verdrehen von Gliedmaßen oder sonstige Aktionen gegen Gelenke haben beim Raufen ebenfalls nichts zu suchen, ebenso wenig wie würgen. Selbst wer gewisse Kampfsporterfahrungen hat, sollte beides nicht bei einem ungeübten Partner tun. Oft hat man den Wunsch, das Kräfteverhältnis zwischen den Partnern zu verändern, dem Stärkeren also ein Handicap zu geben. Eines könnte sein, dass er in einer benachteiligten Position beginnen muss, etwa indem er unten liegt. Über die Fäuste gezogene Socken sind eine deutliche Erschwernis, weil sie das Greifen verhindern. Ein beliebtes Handicap ist der Einsatz von (rauftauglichen!) Fixierungen: So kann etwa ein Handgelenk an den Oberschenkel gebunden werden. Wenn das nicht reicht, kann man auch den zweiten Arm auf diese Weise festmachen (der Vorteil dieser Fixierung ist, dass man mit ihr auch problemlos auf dem Rücken liegen kann). Eine Augenbinde ist eine interessante Variation, allerdings ist sie bei einem Ringkampf, wo man direkten Körperkontakt hat und spürt, was der andere tut, nur ein geringer Nachteil. Noch ein letztes: Entgegen dem, was manche Küchenpsychologen glauben, ist Raufen in einer Partnerschaft keineswegs Ersatz für eine professionelle Therapie. * Mit der Flow-Theorie, auf die hier nicht eingegangen werden kann, legt der amerikanisch-ungarische Psychologe und Philosoph Mihaly Csikszentmihalyi (sprich: Tschik-sent-mi-hai-i) eine der wohl erhellendsten Motivations-Theorien zu Tätigkeiten vor, die, wie etwa Spiele, ihre Belohnung nicht aus äußeren Zwecken beziehen, sondern in sich selbst tragen. Siehe: Csikszentmihalyi, Mihaly: Das flow-Erlebnis. Stuttgart7 1999. (Wieder nach oben) Dieser Text erschien erstmals 2008. Er wurde seitdem mehrfach (in z.T. leicht veränderten Versionen) in Printmedien und im Internet publiziert. |
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